Wien/Innsbruck (pts039/25.04.2017/14:30) – „Fakt ist, dass Cannabis eine eindeutig suchterzeugende Substanz ist. Ich kann mich nur wundern, wenn selbst manche Mediziner das immer wieder zu negieren versuchen. Deshalb bin ich derzeit strikt gegen eine Freigabe über die medizinische Anwendung hinaus“, sagt Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker (Medizinische Universität Innsbruck) bei einer Pressekonferenz zur Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (27. bis 29. April in Gmunden). Bedingt durch die kürzlich in Deutschland erfolgte Legalisierung von Cannabisprodukten für medizinische Zwecke wird dieses Thema auf der ÖGPP-Tagung diskutiert.
In Österreich ist die Verwendung von Cannabisblüten oder -harz (Marihuana bzw. Haschisch) weiterhin verboten. Es gibt zugelassene Medikamente, die den Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) enthalten. Diese werden etwa zur Muskelentspannung bei Multipler Sklerose, zur Appetitsteigerung bei Krebspatienten oder in der Schmerzmedizin eingesetzt.
„Der Vorteil dieser Medikamente ist, dass sie nur bekannte Inhaltsstoffe enthalten, während in der Pflanze weit über 100 weitere stecken, über deren Wirkung und Nebenwirkung wir kaum Bescheid wissen“, so Prof. Fleischhacker. „Es ist schon allein aus diesem Grund fraglich, ob wir den vielzitierten ‚Joint auf Rezept‘ wirklich brauchen. Umso mehr, als bislang selbst die Wirkung der pharmazeutischen Präparate nur unzureichend untersucht und nachgewiesen wurde. Es scheint es so zu sein, dass es tatsächlich Patientengruppen gibt, wo eine Verschreibung gerechtfertigt erscheint.“ Um das endgültig zu beurteilen, bedürfe es aber noch weiterer und auch substanziellerer Studien.
Haschisch und Marihuana für Jugendliche besonders gefährlich
Es sei noch zu wenig bekannt, wie sich eine Legalisierung auf das Gesundheitsverhalten auswirken würde. „Was uns dabei besonders interessieren muss, ist, welchen Einfluss eine Legalisierung auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen hat. Eine Freigabe würde zweifelsohne dazu führen, dass die Verfügbarkeit und Alltagspräsenz dieser Drogen steigt. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass der immer noch oft als harmlos beschriebene Cannabis-Konsum insbesondere in jungen Jahren wirklich gefährlich werden kann“, so Prof. Fleischhacker.
Jugendliche, die regelmäßig hohe Dosen rauchen, leiden deutlich öfter unter Angststörungen und Depressionen. Das Risiko später an einer Schizophrenie zu erkranken steigt gar um das Vierfache – und das selbst dann noch, wenn sie irgendwann wieder ganz mit dem „Kiffen“ aufhören.
„Mit der Legalisierung von Hanfprodukten würden wir letztlich die Büchse der Pandora öffnen“, ist Prof. Fleischhacker überzeugt. „Eine Unterscheidung in sogenannte schwere und leichte Suchtmittel ist aus medizinischer Sicht nämlich nicht gut haltbar. Egal ob Alkohol, Cannabis oder Heroin: Welche Gefahr von einem Suchtmittel ausgeht, hängt nicht nur von seinen Inhaltsstoffen sondern ebenso davon ab, wie verfügbar es ist, auf welche Persönlichkeit es trifft und unter welchen gesellschaftlichen Grundbedingungen es konsumiert wird.“ So gesehen wäre nach einer Cannabis-Legalisierung wohl auch die Freigabe aller anderen jetzt noch illegalen Drogen naheliegende Konsequenz.
„Trotzdem befürworte ich die Entkriminalisierung von Cannabis-Konsum“, sagt Prof. Fleischhacker. „Eine gerichtliche Verurteilung, nur weil jemand einen Joint geraucht hat, bedingt unter Umständen schwerwiegende Folgen für die weitere Lebensgestaltung. Gleichzeitig wissen wir, dass die damit verbundene Hoffnung auf eine generalpräventive Wirkung unrealistisch ist. Zudem bedürfen Konsumenten von Suchtmitteln Beratung und allenfalls Therapie statt Strafe.“
Therapieziel souveränes und freudvolles Leben: Das Orpheus-Behandlungsprogramm
Was Suchterkrankungen angeht, liegt Österreich weltweit unter den Top 10. Allen voran steht die Alkoholkrankheit, an der geschätzte 350.000 Menschen leiden – also fast fünf Prozent der Bevölkerung. Dazu kommt, dass weitere zwölf Prozent der Erwachsenen längerfristig Alkoholmengen konsumieren, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen. Bis zu 1,6 Millionen sind nikotinsüchtig, rund 150.000 bis 180.000 von Medikamenten und etwa 30.000 von illegalen Drogen abhängig. Dazu kommt eine wachsende Zahl von Menschen, die an so genannten nicht substanzgebundenen Süchten leiden, wie Internet-, Kauf- oder Spielsucht.
„Im Rahmen unseres Orpheus-Programms sollen Menschen mit Abhängigkeits-Erkrankungen lernen, ihre eigene Kreativität und Ausdrucksmöglichkeiten zu entdecken, um den Verlockungen der Suchtmittel andere Strategien entgegensetzen zu können“, sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek (Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit, Sigmund Freud Privatuniversität; Ärztlicher Direktor, Anton Proksch Institut, Wien). „Das Problem bisheriger Behandlungsansätze war, dass diese nie über das ‚Symptom-Killing‘ hinausreichten. Erklärtes und einziges Ziel war die Abstinenz. Nun liegt es in der Natur des Menschen, dass Verzicht und Entsagung allein noch keine attraktiven und erstrebenswerten Ziele sind. Die Rechnung dafür haben wir in Form hoher Rückfallraten präsentiert bekommen, für die man dann auch noch die Patienten und ihren ’schwachen Willen‘ verantwortlich gemacht hat.“
Im Orpheus-Programm geht es nicht mehr primär darum, dem Patienten das Suchtmittel zu nehmen und die entstandene Lücke durch therapeutische Angebote zu füllen. Prof. Musalek: „Unser Therapieziel ist ein souveränes und freudvolles Leben. Der Patient soll als Alternative zum Suchtmittel Dinge entdecken, die attraktiv und wichtig für ihn sind oder werden könnten. Damit wird der Verführungskunst des Suchtmittels etwas entgegengesetzt, das stärker ist als alle rationalen Argumente und guten Vorsätze: nämlich das Leben selbst und die Lust, an diesem aktiv teilzuhaben.“
Neue Diagnostik soll Fähigkeiten statt Defizite aufzeigen
Um die individuell sehr unterschiedlichen Potentiale der Patienten ausfindig zu machen, beginnt das Orpheus-Programm schon mit einer radikal geänderten Diagnostik. Dabei geht es nicht mehr nur darum Defizite auszumachen, sondern neben den Unfähigkeiten auch die kognitiven, sozialen, emotionalen und spirituellen Fähigkeiten des Einzelnen zu erkennen und für die Therapie nutzbar zu machen. Prof. Musalek: „Das ist ein wichtiger Schritt, weg von der Kohorten-Medizin zu einer wirklich individuellen Behandlung.“
Derzeit erheben Prof. Musalek und sein Team gerade, wie sich das Programm langfristig auf das Trinkverhalten auswirkt. „Es zeigt sich ein eindeutiger Trend in Richtung einer größeren Nachhaltigkeit“, so seine Zwischenbilanz. „Was wir bereits sicher sagen können ist, dass es zu deutlichen Wertveränderungen bei den Patienten kommt. Die Freude am eigenen Leben und die Zufriedenheit nehmen deutlich zu.“
Programm zur Lebensneugestaltung auch für andere chronische Krankheiten
Vom Prinzip her sind solche Lebensneugestaltungs-Programme auch auf andere Patientengruppen übertragbar, für die ihr bisheriger Lebensstil gesundheitsschädigend oder schlicht nicht mehr möglich ist. Das betrifft chronische Krankheiten wie Diabetes, Adipositas oder Bluthochdruck. Am Anton-Proksch Institut werden auch Burnout-Patienten mit diesem Therapiekonzept behandelt. Prof. Musalek: „Denkbar ist auch eine Ausweitung auf geriatrische Patienten. Gerade bei älteren Patienten könnten mit ressourcen-orientierten Therapieformen beachtliche Erfolge erzielt werden.“
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